Das im Jahr 1999 erschienene Point-and-Click-Adventure 'The Longest Journey' des norwegischen Studios Funcom unter der Leitung von Ragnar Tørnquist gehört unbestritten zu den Klassikern des Genres. Die Protagonistin des Spiels, April Ryan, wird immer wieder angeführt, wenn es um gut geschriebene Frauencharaktere in Spielen geht. Bis heute hat das Spiel nichts von seiner Magie verloren. Zwei Nachfolger später – 'Dreamfall: The Longest Journey' aus dem Jahr 2006 und dem via Kickstarter finanzierten, 2016 fertig gestellten 'Dreamfall: Chapters' – ist es an der Zeit, sich diesen Klassiker noch mal vorzunehmen. Wie gut 'The Longest Journey' gealtert ist und was die Faszination des Spiels ausmacht, erfahrt Ihr im Test.
von Susanne Lang-Vorhofer 04.02.19
04.02.19
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The Longest Journey
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Die Story
April Ryan ist gerade 18 Jahre alt geworden und von zu Hause weggezogen, um in Newport ihr Glück zu finden. Die talentierte junge Künstlerin lebt im Boarder House, geführt von der resoluten Britin Fiona und deren Lebensgefährtin Mickey. Eigentlich will sich April voll und ganz auf die Uni konzentrieren sowie auf ihre Karriere als Malerin – wären da bloß nicht diese Albträume. Gleich zu Beginn findet sich unsere Heldin in einer merkwürdigen Landschaft wieder. Sie bekommt es mit einem Baumgeist und einem weißen Drachen zu tun, und sie sieht erstmals das Chaos, das ihre Welt bedroht. Dass der weiße Drache sie „Tochter“ nennt und kryptische Andeutungen macht, die Aprils Schicksal zu betreffen scheinen, macht die Sache nicht besser. Aber: Es ist ja nur ein Traum. Den kann man nach dem Aufwachen beiseiteschieben und muss ihn nicht weiter ernst nehmen.
Dass nicht alles so ist, wie es zu sein scheint, wird April rascher klar, als ihr lieb ist. Schuld daran ist der mysteriöse Cortez. Durch ihn erfährt April, dass es zwei Welten gibt, Stark und Arcadia. Sie selbst hat die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Welten zu reisen. Und die Balance der beiden Welten ist in ernsthafter Gefahr. Nur April kann Stark und Arcadia retten, nur sie kann das Gleichgewicht zwischen Magie und Wissenschaft wieder herstellen. Das wird natürlich alles andere als einfach. Oberstes Ziel ist es, einen Weg ins Reich des Hüters oder Wächters zu finden, der von seinem Posten verschwunden ist. Nur eine in vier Teile zerbrochene Scheibe kann April diesen Weg ebnen. Weil das alles viel zu einfach wäre, darf sich April auch noch mit den „Vanguard“ befassen, einer fiesen Truppe, die es darauf abgesehen hat, die Balance zu zerstören und ihren eigenen Hüter einzusetzen.
Begeistert ist April von dieser Mammutaufgabe verständlicherweise nicht. Dennoch tritt sie ihre längste Reise an, eine Reise, die auch als Selbstfindung interpretiert werden kann und die April für immer verändern wird. Und das nicht nur, weil sie eine Menge schräger Charaktere kennenlernt und auch das ein oder andere Mal in Lebensgefahr gerät.
Der Name des Spiels ist Programm: Mit 'The Longest Journey' kann man gut und gerne 30 Stunden oder mehr zubringen, je nachdem, wie gründlich man den zahlreichen Dialogen in den insgesamt 13 Kapiteln lauscht bzw. wie lange man für die teils schwierigen Rätsel benötigt und wie genau man die unterschiedlichen Texte liest, die einem im Lauf des Spiels begegnen.
Sieht noch immer gut aus...
Was mich beim erneuten Spielen von 'The Longest Journey' am meisten überrascht hat, war, wie gut die Grafik gealtert ist. Gerade die wunderschön gestalteten Hintergründe – egal, ob auf Stark oder auf Arcadia – machen trotz ihres Alters immer noch einiges her, auch wenn sie stellenweise etwas unscharf bzw. wenig belebt wirken und das ein oder andere Detail vermissen lassen. Dennoch ziehen einen die Hintergründe auch nach all den Jahren noch immer in ihren Bann. Hat man das Spiel schon einmal durchgezockt, dann vermittelt einem ein neuerlicher Durchgang problemlos das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Dagegen fallen die Charaktere leider etwas ab. Die Konturen sind bisweilen unscharf bzw. pixelig, sodass sich die Charaktermodelle etwas zu deutlich von den Hintergründen abheben. In Großaufnahme – etwa, wenn April mit ihrem Kumpel Charlie im Café spricht – erscheinen die Charaktere in ihren Konturen eckig, die Gesichter wirken verwaschen, die Gliedmaßen teilweise etwas zu lang. Dank Motion Capturing sind allerdings die Bewegungen durchaus gut gelungen, sodass es auch nicht weiter stört, dass manche Charaktere immer dieselben Bewegungen ausführen.
Außer in Cutscenes oder Close-ups gibt es leider keine nennenswerte Mimik zu bestaunen, was aus heutiger Sicht sehr ungewohnt ist. Dennoch wurde versucht, in jenen Szenen, die etwas näher an die Charaktere heranzoomen, Lippensynchronität zu gewährleisten. Das wurde gar nicht schlecht umgesetzt, hält man sich das Alter des Spiels vor Augen. Für damalige Verhältnisse ist die Grafik regelrecht spektakulär und, wie gesagt, wirklich gut gealtert.
… und klingt hervorragend
Über jeden Zweifel erhaben ist die Vertonung des Spiels. Die englischen Sprecher machen ihre Sache hervorragend und arbeiten mit verschiedenen Akzenten. So darf ein alter Seebär mit leicht schottischem Akzent sprechen, während ein afroamerikanischer Junge sich des Gossenslangs bedient. Polizisten, die optisch an Robocop erinnern, klingen mechanisch, und Aprils seltsamer Mentor Cortez darf in einem gelungenen spanischen Akzent seine kryptischen Weisheiten vom Stapel lassen, während Aprils Vermieterin Fiona sich in schönem britischem Englisch verständigt. Die meisten Sprecher haben übrigens mehrere Rollen übernommen, was allerdings dank der unterschiedlichen Akzente und Sprechweisen gar nicht auffällt.
Auch die deutsche Lokalisation kann sich hören lassen, ist allerdings nicht ganz so facettenreich wie die englische. Dazu gibt es Untertitel, die unterhalb der jeweiligen Szenerie eingeblendet werden. Die oft sehr langen, ausufernden Dialoge können mit Hilfe der Escape-Taste abgebrochen werden.
Musik und Soundeffekte sind ebenfalls hervorragend gelungen. Die Musik passt sich der jeweiligen Umgebung an, schwillt mal bedrohlich an, hält sich dann wieder dezent im Hintergrund – je nach Situation. Bei den Geräuschen wurde eine breite Palette bedient. Es plätschert das Wasser, wir hören die Metro über die Gleise donnern, bei Vestrum Tobias rascheln Papiere und Bücher, im Café dröhnt uns elektronische Musik um die Ohren, in einer Unterwasser-Stadt klingt Aprils Stimme leicht blubbernd, dazu gesellen sich die Geräusche von Flora und Fauna. Kurz: Musik und Geräusche tragen enorm zur Atmosphäre bei.
Klassisches Point and Click
Die Steuerung ist intuitiv und auch für Anfänger leicht zu handhaben. Per Klick auf einen Teil des Bildschirms kann man April bewegen. Ein Auge zeigt an, dass sie etwas untersuchen kann. Färbt sich der pfeilförmige Cursor hellblau, dann öffnet sich ein kleines Menü mit den Symbolen für Untersuchen (Auge), Sprechen (Mund) und Nehmen/Interagieren (Hand). Bei Ausgängen färbt sich der Cursor rot. Da eine Hotspot-Anzeige fehlt, muss man die einzelnen Bildschirme mitunter sehr genau absuchen. Pixelhunting gibt es dabei jedoch nicht, da die Hotspots in der Regel leicht auffindbar sind und gut platziert wurden. Dass die einzelnen Screens sehr übersichtlich gestaltet wurden, erleichtert die Suche zusätzlich.
Das Inventar befindet sich oben links; es kann auch mit der rechten Maustaste geöffnet bzw. geschlossen werden. Im Lauf des Spiels sammeln sich hier allerhand nützliche Gegenstände. Wird ein Gegenstand nicht mehr benötigt, verschwindet er automatisch aus dem Inventar, was die Sache etwas übersichtlicher gestaltet. Kann ein Gegenstand mit einem anderen Objekt oder einem Lebewesen in der Spielewelt benutzt werden, leuchtet er auf, sobald man mit ihm über Objekt bzw. Lebewesen fährt. Das ist recht hilfreich, denn man erspart sich so das wahllose Ausprobieren aller Inventargegenstände.
Ebenfalls oben, allerdings rechts, finden wir die Optionen. In diesem Menüpunkt sind neben den üblichen Funktionen wie Speichern, Laden und Beenden auch Aprils Tagebuch sowie sämtliche bisher abgespielten Dialoge und Cutscenes enthalten, sodass man bei Bedarf nachlesen bzw. -schauen kann. Einziges Manko: Die Schrift ist etwas zu klein geraten. Dazu ist die gewählte Schriftart nicht gerade lesefreundlich. Dadurch sind die Tagebucheinträge und Dialogaufzeichnungen teilweise etwas mühsam zu entziffern. Richtig anstrengend wird das Lesen bei einigen Schriftstücken, die wir im Laufe des Spiels durchackern dürfen – zu klein, zu verschnörkelt, zu unlesbar ist die Schrift, die hier zum Einsatz kommt.
Immersives Gameplay
Ein Punkt, den ich besonders hervorheben möchte, ist der Umstand, dass sich die Entwickler mit der Umgebung sehr viel Mühe gegeben und darauf geachtet haben, das Spiel möglichst immersiv zu gestalten. Das äußert sich beispielsweise darin, dass wir Hotspots anklicken können, die zwar für die Handlung selbst völlig belanglos sind (wie die Stühle in Fionas Wohnzimmer oder Flugzettel), die aber dafür sorgen, dass wir uns in der Spielewelt gleich viel heimischer fühlen. Unterstützt wird das durch die teils sehr launigen und sarkastischen Kommentare Aprils sowie der zahlreichen Nebencharaktere. Obwohl es um nichts Weniger als die Rettung der Welten geht, kommt der Humor in 'The Longest Journey' nicht zu kurz.
Dialogoptionen eröffnen sich, wenn man das Sprechen-Icon betätigt hat. Dann erscheinen unterhalb der jeweiligen Szenerie verschiedene Konversationsmöglichkeiten – Fragen, Antworten, Überlegungen. Dabei verschwinden jene Dialoge, die man bereits ausgeschöpft hat. Dialogoptionen verschwinden auch dann, wenn eine Aufgabe erledigt wurde. Manche Optionen bleiben wiederum bestehen. Diese können in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden, etwa, wenn man einen neuen Ort entdeckt oder mit einer anderen Figur gesprochen und so neue Erkenntnisse erworben hat, die man besprechen möchte. Teilweise ist es auch notwendig, eine Figur mehrmals auf dasselbe Thema anzusprechen, um weiterzukommen. In manchen Fällen kann der Spieler entscheiden, welche Antwort April gibt. Einen direkten Einfluss auf den doch sehr linearen Spielverlauf hat das allerdings nicht.
Die Rätsel
'The Longest Journey' glänzt mit einer Vielzahl von Rätseln, deren Schwierigkeitsgrad von relativ einfach bis nicht immer auf den ersten Blick nachvollziehbar reicht. Dazu steigert sich die Schwierigkeit der Rätsel im Laufe des Spiels auf höchstens mittelschwierig. Die Bandbreite der Aufgaben ist dabei beeindruckend. Müssen wir anfangs nur mit allen möglichen Nebencharakteren sprechen und adventure-typische Botengänge erledigen, so werden die Aufgaben mit zunehmender Spieldauer anspruchsvoller, interessanter und teilweise richtig verzwickt.
So müssen wir es mit einem Alchemisten aufnehmen, der den Wind gebannt hat. Um zu ihm zu gelangen, gilt es, ein Labyrinth zu durchqueren, das an sich nicht sonderlich kompliziert ist. Allerdings läuft ein Timer in Form einer Sanduhr, sobald man eine Brücke erfolgreich herabgelassen hat, um zu einer bestimmten Tür zu kommen. Dann heißt es schnell klicken, sonst darf man das Ganze wiederholen. Auch das Duell gegen den Alchemisten erfordert logisches Denken, und zwar insofern, als man den richtigen Inventargegenstand benutzen muss, um das Duell überhaupt starten und den Alchemisten besiegen zu können. In der Folge dürfen wir uns auch gleich in Alchemie versuchen und Zaubertränke brauen, die wir später noch gut brauchen können. Um an eine Schriftrolle zu kommen, müssen wir uns ebenso eine List einfallen lassen wie im Fall des trickreichen Hütchenspielers auf dem Markt von Marcuria oder wenn es gilt, ein Schiff wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.
In manchen Fällen, etwa, wenn wir einen undurchdringlichen Dschungel durchqueren müssen, können wir unseren Sidekick Krähe zu Hilfe rufen. Er leitet April dann sicher durch den Dschungel. Er kann auch Gegenstände holen, die für April unerreichbar sind oder Dinge auskundschaften, die in luftiger Höhe liegen.
Zu den schwierigeren Aufgaben gehören unter anderem jenes Rätsel, bei dem wir Kristalle richtig auf einem Altar platzieren und drehen müssen, um eine Höhle auszuleuchten. Hier gibt es kaum Hinweise auf die richtige Lösung, sodass man sich gezwungen sieht, einfach mal was auszuprobieren. Die Lösung selbst ist zwar völlig logisch, aber man muss erst mal drauf kommen. Ähnlich verhält es sich mit einem uralten Kommunikationssystem auf einer Insel. Wir müssen das System wieder aktivieren, indem wir an Steinstatuten herumdrehen und bestimmte Symbole einstellen – auf den ersten Blick eine einfache Aufgabe. Allerdings ist die offensichtliche Lösung nicht notwendigerweise die richtige. Man muss schon etwas genauer überlegen und die entsprechenden Hinweise richtig deuten. Hier gilt – wie für das gesamte Spiel -: Augen und Ohren auf! Jedes Gespräch, jedes enthält wichtige Hinweise, die bei der Lösung einer Aufgabe hilfreich sind. Im Zweifelsfall hilft die Lektüre von Aprils Tagebuch weiter. Hier hält sie nämlich nicht nur ihre Erlebnisse fest, sondern auch Überlegungen zur Lösung eines Rätsels.
Für alle Aufgaben gilt: Sie sind nachvollziehbar und logisch in die Handlung eingebettet, auch jene, die auf den ersten Blick schwierig und/oder unlogisch erscheinen. 'The Longest Journey' enthält nicht ein Rätsel, das lediglich dazu dient, die ohnehin schon beachtliche Spieldauer zu strecken. Vielmehr hat jede Aufgabe ihren Sinn und hilft April bei ihrer Reise weiter.
Kompatibilität und Verfügbarkeit
Am einfachsten ist es, 'The Longest Journey' über GoG oder Steam zu spielen. Lästige Bugs der CD-Version wurden entfernt, sodass die zahlreichen Abstürze der Vergangenheit angehören. Es kann allerdings passieren, dass der Bildschirm beim Beenden des Spiels einfriert, namentlich, wenn man das Spiel über den Menüpunkt Optionen schließen möchte. Dann gelangt man über den Task Manager zum Desktop zurück. Zwar gibt es direkt neben dem Button „Optionen“ auch einen Button mit der Aufschrift „Quit“. Allerdings friert das Spiel auch bei Klick auf diesen Button ein. Dasselbe ist mir im Hauptmenü passiert.
Wer eine deutsche Sprachausgabe bevorzugt, greift zur CD-Version, denn weder GoG noch Steam unterstützen die deutsche Lokalisation. Die CD-Version sollte im Kompatibilitätsmodus spielbar sein, muss unter Umständen aber gepatcht werden und neigt zu Abstürzen, sodass sich regelmäßiges Speichern empfiehlt.